Bezahlbare Wohnheimplätze dank Azubiwerk
München ist, wie so ziemlich jeder weiß, die teuerste Stadt in ganz Deutschland. Wer hier ein neues Dach über dem Kopf finden wollte, musste sich 2021 im Durchschnitt auf eine Miete von 17,32 Euro pro Quadratmeter einlassen, zeigen Statistiken. "Wen trifft das am härtesten? Natürlich die, die am wenigsten verdienen. Und dazu gehören nun mal die Azubis", sagt Kristofer Herbers, Jugendsekretär des DGB in der bayrischen Landeshauptstadt. Verzagt wirkt er allerdings nicht, im Gegenteil. So wie er da steht, die Hände locker in den Hosentaschen, um die Lippen ein spöttisches Lächeln, vermittelt er den Eindruck: Hier hat jemand richtig Bock auf die Kämpfe, die er gerade ausficht.
Um zu zeigen, was die Gewerkschaften in München für bezahlbaren Wohnraum für junge Leute unternehmen, hat Kristofer gemeinsam mit DGB-Regionsgeschäftsführerin Simone Burger zu einem Treffen am Innsbrucker Ring eingeladen. Dort, in einem fünfstöckigen Zweckbau mit glatter Fassade, in dessen Erdgeschoss ein Supermarkt und eine Haustechnik-Firma untergebracht sind, hat die stadteigene GEWOFAG auf Initiative des DGB ein Wohnheim mit 118 Appartements ausschließlich für Azubis eingerichtet. Ein zweites Objekt am Hanns-Seidel- Platz mit zusätzlichen 221 Appartements ist bereits im Bau. Weitere Wohnheime sind in Planung, tausend Plätze insgesamt lautet beim DGB die Zielmarke. "Für den Anfang", wie Kristofer betont.
Die Trägerschaft für die Wohnheime soll in Kürze auf ein neu gegründetes Azubiwerk übergehen, das sich am Vorbild der bewährten Studierendenwerke orientiert. "Erste Überlegungen dafür gab es bei den Gewerkschaften schon in den 90er- und Nuller-Jahren, als ich selbst noch Jugendsekretärin war", erzählt Simone. "Damals sind wir gescheitert, aber aufgegeben haben wir nie." Motiviert durch den Zukunftsdialog und seine bundesweite Aktionswoche Wohnen, haben DGB und DGB-Jugend ihr verbessertes Konzept nun wieder über die SPD/Volt-Fraktion in den Stadtrat getragen. Und diesmal ist es ihnen gelungen, die Mehrheit der Volksvertreter*innen auf ihre Seite zu ziehen.
"Der durchschnittliche Azubi-Lohn in München beträgt 950 Euro. Ein WG-Zimmer kostet von 600 Euro an aufwärts. Das heißt: Selbst der Azubi bei BMW, der 1.000 Euro netto verdient, kann sich das nicht leisten", rechnet Kristofer vor. "Über Friseur-Azubis oder Berufsfachschüler*innen wie zum Beispiel künftige Erzieher*innen, die gar nix verdienen, muss man gar nicht erst reden. Die haben einfach keine Chance auf dem freien Wohnungsmarkt."
Am Innsbrucker Ring gelten jedoch andere Regeln. 515 Euro im Monat sind hier für ein Einzelappartement von 22 Quadratmetern zu entrichten. "Auf den Azubi entfallen davon 221 Euro Grundmiete plus 106 Euro für Heizung und Betriebskosten, zusammen also 327 Euro. Das ist zu schaffen", erläutert Kristofer. Aber fehlen da nicht noch 188 Euro?
"Für die kommen die Arbeitgeber auf, indem sie für jeweils drei Jahre Belegrechte kaufen", erklärt Simone. "Oft genug haben sie geklagt, dass sie keine Jugendlichen für ihre Ausbildungsplätze mehr finden. Wir haben ihnen gesagt: Dann tut etwas und nehmt Geld in die Hand für bezahlbaren Wohnraum. Hier habt ihr die Gelegenheit."
Und ja, es funktioniert. Vor allem größere Arbeitgeber wie die Deutsche Bahn nutzen die Chance, auf diesem Weg künftige Fachkräfte an sich zu binden. Aber auch Auszubildende, die nicht das Glück haben, dass ihr Arbeitgeber sie unterstützt, sollen sich in Zukunft direkt auf ein Drittel der Plätze bewerben können. Außerdem soll das Azubiwerk Auszubildende bei der Beantragung finanzieller Hilfe unterstützen.
Attraktiv an dem Projekt ist nicht nur die erschwingliche Miete. Jedes Appartement am Innsbrucker Ring hat eine eigene Kochnische und ein eigenes Bad. Ein solcher Standard ist in herkömmlichen Azubi-Wohnheimen nicht unbedingt üblich. "Doch die Zeiten ändern sich", sagt Simone. "Heutige Azubis sind meist nicht mehr 15. Viele starten erst mit 18 oder 19 ihre Ausbildung. Und junge Menschen haben aus unserer Sicht einen Anspruch darauf, selbstständig zu leben, unabhängig vom Geldbeutel der Eltern."
Noch etwas anderes zeichnet das vom DGB angeschobene Azubiwerk aus: Mitbestimmung. "Wir können den Azubis nicht irgendetwas vor die Nase setzen und ihnen sagen: So ist es jetzt, findet euch damit ab", erklärt Kristofer. "Sie wissen schließlich selbst am besten, wie sie leben wollen." Deshalb wird in jedem Haus ein Hausrat gewählt. Zwei Personen aus dem Hausrat wiederum vertreten die Bewohner*innen im Vorstand. Die Perspektive der jungen Menschen bringen auch die Vertreter*innen der DGB-Jugend und des Kreisjugendrings in die Vorstandsarbeit ein.
Am Ende soll das Azubiwerk nicht nur bezahlbaren Wohnraum schaffen, sondern auch als Vernetzungsplattform dienen. "Es soll die Interessen von Azubis vertreten, Beratung organisieren, die Ausbildungs- und Lebensbedingungen von Azubis insgesamt verbessern", sagt Simone. "Wenn uns das gelingt, haben wir den Ehrentitel 'Leuchtturm', den der DGB unserem Projekt gegeben hat, wirklich verdient. Dann können wir auch weit über München hinaus ausstrahlen."
Ein Azubiwerk ist schließlich "kein Hexenwerk, sondern im Grunde genommen auch nur ein Verein", ergänzt Kristofer. "Was wir hier machen, können andere Städte auch. Wir freuen uns über jeden, der es nachmacht! Wer Tipps von uns braucht, muss sich nur melden. Wir helfen gern weiter."
Hier geht es zu dem Beitrag über München in der Multimedia-Reportage über vier Jahre DGB-Zukunftsdialog.