Tarifflucht kostet Gesellschaft Milliarden – dagegen machen Gewerkschaften mobil

Tarif. Gerecht. Für alle.: DGB-Regionsgeschäftsführer Fabian Scheller in der "Kampagnen-Ente" der NGG.

In Deutschland profitieren immer weniger Beschäftigte von einem Tarifvertrag: 1998 arbeiteten noch 76 Prozent der Beschäftigten in Westdeutschland und 63 Prozent der Beschäftigten in Ostdeutschland in Unternehmen mit Tarifbindung. Neun Jahre später waren es nur noch 57 bzw. 46 Prozent. Ein rasanter Rückgang – und der bringt große Nachteile für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und unsere Gesellschaft als Ganzes mit sich. So hat der DGB u. a. ausgerechnet, dass den Sozialversicherungen durch Tarifflucht und Lohndumping jedes Jahr rund 24,8 Milliarden Euro Beiträge entgehen.

DGB Hamburg bekämpft Tarifflucht mit kreativer Kampagne

"Mit Tarifvertrag gibt es mehr Geld, bessere Arbeitsbedingungen und oft mehr Urlaub", erläutert Hamburgs DGB-Vorsitzende Katja Karger die individuellen Vorteile eines Tarifvertrags für Beschäftigte. "Von Arbeitgeberseite und Politik fordern wir deshalb: Schluss mit der Tarifflucht und Blockade bei der Allgemeinverbindlichkeit!" So hat der Hamburger DGB das Thema Tarifbindung schon seit Anfang des Jahres mit einer kreativen Kampagne auf die Tagesordnung des Stadtstaats gesetzt.

Seit Herbst gibt es in Sachen Tarifbindung volle Unterstützung aus dem Zukunftsdialog: Zum 7. Oktober, dem Tag der menschenwürdigen Arbeit, startete die zweite Aktionsphase des Zukunftsdialogs. Unter dem Motto TARIF. GERECHT. FÜR ALLE finden bis zum Frühjahr 2020 zahlreiche Aktionen statt. Wie beim ersten Schwerpunktthema Wohnen hat der DGB-Bundesvorstand ein Set an Materialien erstellt, die seitdem deutschlandweit von DGB-Aktiven eingesetzt werden – zum Beispiel bei Aktionen vor Vorzeige-Betrieben, die zurück in die Tarifbindung gegangen sind, oder bei Unternehmen, die immer noch "tariffreie Zone" sind.

Tarifverträge und Tarifflucht in Sachsen

Jeder Kreisverband, jede Region und jeder Bezirk entscheidet selbst, wie das Thema am besten platziert wird. So erstellte der DGB in Sachsen mit der Hans-Böckler-Stiftung eine wissenschaftliche Studie zu Tarifverträgen und Tarifflucht in Sachsen. Sie zeigt: Es liegt auch an dem niedrigen Anteil von Beschäftigten in tarifgebundenen Unternehmen, dass die Durchschnittslöhne in Sachsen noch immer denen im Westen hinterherhinken. Der sächsische Bezirksvorsitzende Markus Schlimbach sieht die Landespolitik in der Pflicht gegenzusteuern: "Es ist skandalös, dass Unternehmen mit Beteiligung des Freistaats oder kommunale Betriebe keine Tarifverträge anwenden. Sachsens Vergabegesetz braucht einen vergabespezifischen Mindestlohn, eine Tariftreueregelung sowie soziale und ökologische Kriterien."

Bündnis für faire Vergabe in Rheinland-Pfalz

Auch in den anderen Bundesländern macht sich der DGB dafür stark, dass Tariftreue für Unternehmen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge verbindlich wird. Denn die öffentliche Hand hat eine enorme Marktmacht: Jährlich vergeben Bund, Länder und Kommunen Aufträge in Höhe von 450 bis 500 Milliarden Euro. Das sind 15 Prozent des BIP. "Der Staat kann mit Tariftreue in der öffentlichen Auftragsvergabe einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, dass Tarifverträge zur Anwendung kommen!", so Dietmar Muscheid, Vorsitzender des DGB-Bezirks Rheinland-Pfalz/Saarland. Die Rheinland-Pfälzer haben deshalb das Bündnis "Faire Vergabe Rheinland-Pfalz" mit initiiert. Ähnliche Initiativen wurden auch durch andere DGB-Bezirke bereits gestartet und tragen dazu bei, das Thema Tariftreue in die politische Debatte einzubringen. Gemeinsam mit dem BUND, dem Entwicklungspolitischen Landesnetzwerk und Kirchen fordert der DGB jetzt für Rheinland-Pfalz gesetzliche Regelungen, die alle öffentlichen Beschaffungsstellen verpflichten, ökologische und soziale Kriterien sowie die Menschenrechte entlang der Lieferkette zu berücksichtigen, zu kontrollieren und Verstöße zu sanktionieren. "Steuergelder dürfen nicht mehr für Produkte und Leistungen ausgegeben werden, bei denen nicht klar ist, ob Arbeits- und Menschenrechte eingehalten werden oder ob Tariftreue, gute Arbeit und ökologische Standards eine Rolle spielen", so Muscheid.

>> DGB-Tariffluchtatlas: So viel kostet und Tarifflucht und Lohndumping - Zahlen für jedes Bundesland

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Foto: DGB-Regionsgeschäftsführer von Rostock-Schwerin, Fabian Scheller, in der "Kampagnen-Ente" der NGG.